Ein Interview von
Daniel Bollers ist seit nunmehr 20 Jahren in verschiedenen Vertriebsfunktionen bei Consumer-Electronics-Unternehmen tätig und darf sich angesichts des sich schnell wandelnden Marktes schon fast als Veteran bezeichnen. Er hatte das große Glück, für einige der spannendsten Unternehmen der Branche wie Sony, Nokia und Microsoft arbeiten zu dürfen. Neben den Giganten aus der CE konnte er auch einige Start-Up-Jobs begleiten, wie etwa die Expansion von SONOS in Deutschland oder die Wiedereinführung von Toshiba TV im deutschsprachigen Markt. Aktuell ist er als Director Sales für Hisense CE im Einsatz und arbeitet mit viel Elan und Spaß daran, die Marke nachhaltig unter den Top 5 der Branche zu etablieren. Daniel ist ein Technikenthusiast, der den Handel mit all seinen Facetten liebt, auch wenn es immer etwas zu optimieren gibt und eine perfekte POS-Execution eine große Herausforderung ist, da Händler eher an einer maximalen Flächenproduktivität als an einer idealen Customer Journey interessiert sind.
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Du bist schon länger im Bereich Sales tätig und hast viele Trends kommen und gehen sehen. Wenn du auf den Anfang deiner Karriere und die Situation heutzutage schaust: Was hat sich am positivsten im Handel getan, was muss in den nächsten Jahren passieren, damit der Handel weiterhin Erfolg hat?
Die auffälligste Änderung ist die Verschiebung zu E-Commerce, nicht zuletzt noch verstärkt durch die aktuelle Pandemie. Der Convenience-Gedanke ist sicherlich der positivste Aspekt daran. Fast alles ist mit nur einigen wenigen Klicks bequem erhältlich und das buchstäblich von der Couch aus. Andererseits geht dadurch das persönliche Einkaufserlebnis selbst verloren.
Ich denke, der stationäre Handel hat nur dann eine Chance zu bestehen, wenn er seine Stärken ausspielt, wie etwa eine wirklich kompetente Beratung oder spezielle Vor-Ort-Services, die so nicht einfach online abbildbar sind. Nur wenn er Mehrwerte schafft und die Customer Experience in den Vordergrund rückt, kann er sich zum primär preisgetriebenen Online-Geschäft positiv abgrenzen.
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Lass uns kurz über Brand-Ambassadore sprechen: In der Vergangenheit waren Verkäufer im Handel nicht die größten Experten und deshalb haben viele führende Unternehmen sich auf Brand Ambassadors in den Läden verlassen. Jetzt, in den Zeiten von Covid-19 oder auch danach, wie sieht die Zukunft von Brand Ambassadors deiner Meinung nach aus?
Das sehe ich in der Tat eher kritisch. Brand-Ambassadore sind naturgemäß nicht sehr neutral. Das haben die Kunden mittlerweile durchschaut. Ein Kunde mit fester Kaufabsicht lässt sicherlich eher leiten oder beraten, wenn er/sie das Gefühl hat, der Verkäufer/die Verkäuferin ist ein „Trusted Advisor“, der/die auf seine/ihre Bedürfnisse eingeht und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Angeboten kennt. Von daher glaube ich eher an eine Zukunft von „Shared Ambassadoren“, wenn diese gegebenenfalls sogar für mehreren Marken innerhalb einer Produktkategorie arbeiten und mit breitem „Category Knowhow“ dem Kunden zu dem für ihn passendsten Produkt am Touchpoint beraten.
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Moderne Technologien ermöglichen eine echte Omnichannel-Erfahrung. Zum Beispiel kann man sich per AR die Produkte zuhause anschauen, einen Verkaufsberater per Video-Call erreichen und die Produkte sehr zeitnah aus dem Laden um die Ecke nach Hause geliefert bekommen. Was denkst du über diese Möglichkeiten?
Ich denke, diese Optionen sind absolut zeitgemäß. Die Verschmelzung der Off- und Onlinewelt hat viele Vorteile für den Kunden. KI, AR und Big Data können die Customer Journey sinnvoll ergänzen und zur Entscheidungsfindung beitragen. Ein praktisches Beispiel wäre, sich zu Hause über eine AR-App auf dem Smartphone plastisch vorzustellen, wie sich der neue Großbildfernseher in die heimischen Wohnumgebung einfügt.
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Wird sich der physische Handel vom reinen „besten Preis“ zur „besten Erfahrung“ wandeln? Werden die Läden sich in Markenerfahrungs-Center verwandeln? Wie siehst du diese Veränderungen, diese Evolution des Handels voraus?
Der Handel muss sich drastisch wandeln, das steht fest. Das Ladensterben in den Innenstadtlagen hat schon vor Corona begonnen, jetzt wird dieser Trend noch beschleunigt. Nur wer attraktive Einkaufserlebnisse schafft, mit exklusiven Angeboten und Services aufwarten kann, die es so im Internet nicht gibt, hat langfristig Chancen auf Erfolg. Entweder spezialisieren sich die Händler auf beratungsintensive und selektive Produktkategorien oder auf exklusive Sortimente, die nicht massenhaft erhältlich sind. Die Großflächen wiederum werden Brandstores und Shop-in-Shop-Flächen forcieren, um etwas von den hohen Flächenkosten an die Marken zu übertragen. Es könnte lediglich sein, dass es nach der Pandemie eine temporäre Rückbesinnung zum stationären Handel gibt, aufgrund einer gewissen Online-Müdigkeit und Offline-Shoppingzwangspause.
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Wie wirken sich deiner Meinung nach Social Media und Social Selling auf den stationären Handel aus?
Ich glaube schon, dass es eine große Rolle spielen wird und einige Studien zeigen bereits, dass es längst der Fall ist. Es geht letztlich um Kundenbindung. Der lokale Händler hat damit die Möglichkeit, seine Zielgruppe auch über sein normales Einzugsgebiet hinaus zu erweitern. Das setzt sicherlich voraus, dass er sich mit relevantem und interessantem Content von der Masse absetzt und er eine glaubwürdige Story erzählt, die viral weitergetragen wird.
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Denkst du, dass Verkaufsberater per Video eine Lösung zu Zeiten von Covid-19 und danach sein können oder virtuelle Chatbots, bei denen die Konsumenten mit einem Roboter oder einem animierten Charakter sprechen können?
Ich denke, der Verkaufsberater per Video wird sich da eher bewähren. Chatbots und Animationen sind dem Kunden vermutlich suspekt, es fehlt die Authentizität. Wenn er die Wahl hat, mit einem echten Menschen zu kommunizieren, wird er dies immer vorziehen. Menschen sind soziale Wesen, daher glaube ich, dass diese Technologie in der Praxis durch die fehlende Akzeptanz beim Shoppingerlebnis eher an ihre Grenzen stößt.
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Service und Installationen werden wichtiger und wichtiger. So brauchen Verbraucher zum Beispiel beim Kauf eines komplexen Smarthome-Setups nicht nur einen Installationsservice, um einen TV an die Wand zu hängen, sondern einen kompletten Setup-Service, der dafür sorgt, dass die Produkte verbunden, programmiert und 100% funktional sind. Warum bietet niemand diese Services an? Wie ist deine Meinung dazu? Sollte dies der Handel oder die Hersteller anbieten? Würden die Konsumenten dafür extra bezahlen oder sollte es Teil einer exzellenten Serviceerfahrung sein?
Ich würde es begrüßen, wenn dem Kunden mit einem ganzheitlichen Serviceangebot beim Verkauf und Installation von vernetzten Smarthome-Lösungen etwaige Berührungsängste genommen werden. Im Ansatz gibt es solche Angebote beispielsweise bei Media@Home. Auch Tink, mit dem wir in meiner Zeit bei Google gut zusammengearbeitet haben, ist eine gute Anlaufstelle für den Online-Smarthome-Lösungsvertrieb. Der Händler, der es versteht, die vernetzten Themenwelten ganzheitlich zu spielen und den Lösungsverkauf inklusive Installation aus einer Hand anzubieten, hat sicherlich die besten Chancen auf eine höhere Wertschöpfung, da der Kunde für den Rundumservice sicherlich bereit ist, den Mehrpreis zu zahlen.
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Bonusfrage: Auf welches Projekt oder Thema in deiner Laufbahn bist du besonders stolz?
Im Laufe meiner rund 20 Jahre innerhalb der Consumer-Electronics-Branche hatte ich die Chance, viele spannende Projekte umzusetzen oder begleiten zu dürfen. Als Tech-Enthusiast und Treiber von neuen Ideen und Konzepten bin ich insbesondere am Go-to-Market von richtungsweisenden Produkten interessiert. Die folgenden zwei Beispiele, die seinerzeit komplett neu in der Art des Produktes und somit auch dem Zugang zum Markt waren, sind jeweils auch Wendepunkte für unser heutiges Nutzerverhalten von CE-Produkten.
Zum einen die Markteinführung des wegweisenden Nokia N95 Smartphone, welche ich in meiner Funktion als Business Manager Nseries in Deutschland zu verantworten hatte. Das N95 wurde Anfang 2007 erfolgreich gelauncht und war zu seiner Zeit mit der fortschrittlichen Symbian OS 9.2 und umfangreichen Features wie etwa 8GB Speicher, 5 MP, GPS und HSDPA ausgestattet. Das Konvergenz-Device war damit der Vorreiter für moderne Smartphones, wie wir sie heute kennen. Keine sechs Monate später wurde allerdings mit dem ersten Apple iPhone eine neue Ära der Touchscreen-Smartphones eingeleitet und damit auch der Anfang vom Ende des einstmaligen Branchenprimus Nokia besiegelt.
Ein anderes Projekt, auf das ich stolz bin, war die Etablierung von SONOS in Deutschland. Als Senior Manager Sales war ich federführend daran beteiligt, die SONOS Wireless-Loudspeaker-Systeme aus ihrem Nischendasein in den Massenmarkt zu überführen. Die konsequente Markenführung, sowie die selektive Vertriebsstrategie haben maßgeblich dazu beigetragen, SONOS zum heutigen Hi-Fi-Marktführer zu etablieren. Musikstreaming von diversen Musikdienstanbietern auf Multi-Room-Speakern ist heutzutage absolut selbstverständlich. Vor acht Jahren war es noch Pionierarbeit und man musste viel Überzeugungsarbeit im Handel leisten. Das Disruptive unserer Branche ist, was mich an der Consumer Electronics so fasziniert! Durch die Verschmelzung von Hardware, Software, KI und Cloud Services, kann mit der richtigen Idee ein Nobody innerhalb von sechs Monaten einen gesetzten Markt komplett neu definieren. Insofern wird es auch nach all den Jahren niemals langweilig in der CE!
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