Ein Interview von
Während seiner gesamten Laufbahn war Michel Bonetti in Sektoren wie Finanzen & Banken, Bauwesen, Telekommunikation, M2M/IoT, Drohnen, Automotive, AgTech, Photonik und Sensoren tätig, wobei das Business Development stets im Vordergrund stand.
Als Produktmanager beim Telekommunikationsanbieter Orange in der Schweiz war er innovativ und entwickelte die ersten Hardware-Bundles mit Subvention, die heute noch Standard sind. Später konnte er für starke und innovative Marken in vielen europäischen Ländern und den USA arbeiten, wie Palm, HP und schließlich Parrot, wo er ein Pionier des Consumer-Drohnengeschäfts in Deutschland und Zentraleuropa war. Schließlich gründete er sein eigenes Unternehmen in München, das sich mit seinen Partnern auf drei Aktivitäten konzentriert: Internationales Business Development, M&A und Start-up-Beschleunigung und -Investitionen.
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Du bist schon länger im Channel Marketing tätig und hast viele Trends kommen und gehen sehen. Wenn du auf den Anfang deiner Karriere und die Situation heutzutage schaust: Was hat sich am positivsten im Handel getan, was muss in den nächsten Jahren passieren, damit der Handel weiterhin Erfolg hat?
Der Einzelhandel hat, wie andere Segmente auch, in den letzten Jahren massive Veränderungen durchlaufen, die durch die Online-Präsenz von Branchenriesen wie Amazon beschleunigt wurden. Sie hat dem Einzelhandel den nötigen Impuls gegeben, nicht nur eine Online-Präsenz zu entwickeln, sondern sich auch in Richtung einer gezielteren Produktauswahl und einer besseren Servicequalität weiterzuentwickeln.
Hinzu kommt, dass die Sensortechnologie vor Ort, die es ermöglicht, die Kunden in den Geschäften zu beobachten und ihr Verhalten zu verstehen, sowie die zunehmenden Möglichkeiten der virtuellen Realität, noch nicht vollständig erforscht wurden. Dies ist möglicherweise die nächste Phase im Einzelhandel. Intelligente POS, die die relevanten Daten für die Marken und die Geschäfte sammeln, um den Wert der Flächen zu erhöhen, und die Investitionen in intelligente Präsentationslösungen, die dem Channel Marketing mehr Dynamik und Effizienz verleihen.
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Lass uns kurz über Brand Ambassadors sprechen: In der Vergangenheit waren Verkäufer im Handel nicht die größten Experten und deshalb haben viele führende Unternehmen sich auf Brand Ambassadors in den Läden verlassen. Jetzt, in den Zeiten von Covid 19 oder auch nach Covid 19, wie sieht die Zukunft von Brand Ambassadors deiner Meinung nach aus?
Die Markenbotschafter werden nach der Covid-Phase sicherlich ein Comeback in den Geschäften feiern. Diese Rückkehr könnte einen Twist haben, in dem Sinne, dass viele von ihnen einen Online-Markenbotschafter-Hut annehmen, mit einem Kanal und einer Social-Media-Präsenz, die sich auf die Produktdetails konzentrieren, unter Vertrag mit Marken, um die Produkte in einem Omni-Channel-Ansatz zu bewerben. Ihre Online-Präsenz kann definitiv ihr nächster Schritt werden.
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Moderne Technologien ermöglichen eine echte Omnichannel-Erfahrung. Zum Beispiel kann man sich per AR die Produkte zuhause anschauen, einen Verkaufsberater per Video-Call erreichen und die Produkte sehr zeitnah aus dem Laden um die Ecke nach Hause geliefert bekommen. Was denkst du über diese Möglichkeiten?
Auch dieser Ansatz kann für bestimmte Produkte hervorragend sein, insbesondere für höherwertige Produkte, bei denen das Bedürfnis, sie anzufassen, zu erfahren und auszuprobieren, bestehen bleiben wird. Das virtuelle Erlebnis hilft definitiv dabei, die Produkte in 3D zu visualisieren und eine Auswahl oder eine Vorauswahl zu treffen. Aber die Kunden wollen bis zu einem gewissen Grad und bei höherwertigen Produkten vielleicht immer noch eine direkte Interaktion, bevor sie sie erwerben.
Es gibt nicht nur eine Lösung, wir werden einen Mix von Ansätzen haben, abhängig vom Wert der Produkte und den Richtlinien der Marken, wobei wir das volle Spektrum der Möglichkeiten nutzen.
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Wird sich der physische Handel vom reinen „besten Preis“ zur „besten Erfahrung“ wandeln? Werden die Läden sich in Markenerfahrungs-Center verwandeln? Wie siehst du diese Veränderungen, diese Evolution des Handels voraus?
Das werden sie definitiv tun müssen, zumindest für einen Teil ihrer physischen Präsenz. Das Erlebnis und der erste Eindruck werden der Schlüssel bleiben, um die Produkte zu verkaufen und neue Kunden zu gewinnen oder treue Kunden zu halten. Die Geschäfte könnten sich in Richtung Erlebniszentren mit Online-Verkauf bewegen, in denen die Produkte Spaß machen, getestet und manipuliert werden können und mit einem Klick über eine App oder eine interaktive Lösung im Geschäft bestellt werden können. Dies hat in einigen Ländern wie in der Tschechischen Republik bereits begonnen.
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Wie wirken sich deiner Meinung nach Social Media und Social Selling auf den stationären Handel aus?
Eine Menge für die jüngere Generation, die mindestens 40 % ihrer Tageszeit online verbringt, um zu surfen, Videos anzuschauen oder zu spielen. Sie registrieren schneller wiederholte Nachrichten und teilen Informationen, die ihnen gefallen, sofort. Die jüngere Generation wiederum beeinflusst auch ihre Eltern und drängt auf Konsum durch Mimesis. Social Media bedient die sich abzeichnende kürzere Aufmerksamkeitsspanne und hat einen gravierenden Einfluss auf den Kaufreflex, indem es den Weg zwischen Interesse und Kauf verkürzt.
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Denkst du, dass Verkaufsberater per Video eine Lösung zu Zeiten von Covid-19 und danach sein können oder virtuelle Chatbots, bei denen die Konsumenten mit einem Roboter oder einem animierten Charakter sprechen können?
Ich glaube im Moment nicht an virtuelle Chatbots. Die Technologie ist noch nicht ausgereift und die Aufgaben, die die Chatbots ausführen, sind gelinde gesagt zu simpel. Sie sind heute ein magerer Mehrwert für den Verkaufs- oder Kundensupportprozess.
Der Wiederverkauf von bereits bekannten Produkten an bekannte Kunden kann erfahrungsgemäß online durchgeführt werden, da der Überzeugungsaufwand minimal ist und es sich eher um eine Auftragsannahme als um einen Verkauf handelt. Die Akquise von Neukunden und die Entwicklung des Verkaufs von Konsumgütern mag bis zu einem gewissen Grad online möglich sein, ist aber definitiv zu unpersönlich und begrenzt. Die Kunst, Menschen zu überzeugen, ist eine Mischung aus Gespräch, Gestik, Mimik und dem Eindruck, den man auf den anderen macht, und das funktioniert immer noch besser, wenn man sich von Angesicht zu Angesicht trifft. Wir sind, trotz allem was wir glauben wollen, soziale Wesen und brauchen diese Interaktion. Der Werbeprozess kann jedoch sehr effizient online durchgeführt werden.
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Service und Installationen werden wichtiger und wichtiger. So brauchen Verbraucher zum Beispiel beim Kauf eines komplexen Smarthome-Setups nicht nur einen Installationsservice, um einen TV an die Wand zu hängen, sondern einen kompletten Setup-Service, der dafür sorgt, dass die Produkte verbunden, programmiert und 100% funktional sind. Warum bietet niemand diese Services an? Wie ist deine Meinung dazu? Sollte dies der Handel oder die Hersteller anbieten? Würden die Konsumenten dafür extra bezahlen oder sollte es Teil einer exzellenten Serviceerfahrung sein?
Das hängt von dem Markt ab, in dem sie sich befinden, und vom Wert des Produkts. In vielen Ländern wird dieser Service vom Hersteller oder seinem Vertreter auf dem Markt (VA-Distributor) für höherwertige Systeme angeboten. Es muss eine Korrelation zwischen den Kosten für die Installation und den Kosten für das Produkt bestehen, sonst sieht der Kunde darin nicht den Wert für sich. Das Ideal für einen Hersteller ist es, so viele Standards wie möglich anzuwenden, so dass die Geräte sich untereinander kennen und beim Start automatisch interagieren, mit einem Minimum an „Klicks“. Bei komplexen Lösungen, bei denen Kabel oder spezielle Programmierungen im Spiel sind, ist ein solcher Installationsservice entscheidend für das Kundenerlebnis und das Image der Marke.
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Bonusfrage: Auf welches Projekt / Thema in Deinem Job warst Du besonders stolz?
Das ist eine schwierige Frage… es gibt viele davon, wie der Erfolg der Einführung der allerersten Handy-SIM-Karten-Bundles auf dem Schweizer Markt, die zu einem Standardformat geworden sind, oder der Start der ersten Drohnen-POS-basierten thematischen Kampagne im europäischen Einzelhandel und online. Alles interessante und sehr zufriedenstellende Projekte, entwickelt und erfolgreich umgesetzt dank leidenschaftlicher Teams und Partner, die den größten Teil des Spaßes an den Projekten wirklich ausmachen.
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