Ein Interview von
Petra Fröhlich schreibt seit mehr als 25 Jahren über Videospiele. Ihren Einstieg in die Branche machte sie als freie Autorin, wenig später fing sie bei PC Games als Redakteurin an. Dort war sie dann mehr als ein Jahrzehnt lang als Chefredakteurin tätig und leitete bis 2014 unter anderem die Redaktionen der PC Games, PC Action, play4 und N-Zone. Im Herbst 2015 gründete Petra schließlich mit GamesWirtschaft ihr eigenes deutsches Nachrichtenportal für Videospiele.
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Du bist ja nun schon einige Zeit in der Games-Branche, hast viele Trends kommen und gehen sehen. Zu den Anfangszeiten und heute: Was hat sich am positivsten verändert in der Branche und was stört Dich an der heutigen Situation?
Anders als in den 80ern, 90ern und 2000ern ist es heutzutage so gut wie nicht mehr möglich, die Kundschaft bewusst mit Spiele-Schrott abzuziehen. Sowohl Transparenz als auch Konkurrenz sind viel zu groß. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele billig produzierte Rennspiele, Management-Spiele und Jump & Runs ich in meiner „Tester“-Laufbahn gesehen habe. Sprich: Die Produktqualität ist mittlerweile fast durchgängig gut bis sehr gut, mindestens. Das war nicht immer so.
Was mich betrübt, ist der Bedeutungsverlust der Publisher-Niederlassungen. Durch die Konsolidierung und den schleichenden Niedergang des stationären Handels existieren vielerorts nur noch Sales- und Marketing-Rumpfmannschaften, wenn überhaupt. Die über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen haben sich gerade in den vergangenen ein, zwei Jahren dramatisch verändert. Damit einher geht ein Niedergang der Party-Kultur: In der Games-Branche wurde noch nie so viel verdient wie heute – und noch nie so wenig gefeiert, schon vor Corona.
Und was ich in diesem Zusammenhang wirklich sehr vermisse: die Branchen-Klassenfahrten zur ECTS nach London oder zur E3 nach Los Angeles. Wer heutzutage noch zwei Tage Six Flags und Santa Monica zwecks Akklimatisierung dranhängen will, muss ja mindestens mit hochgezogenen Augenbrauen des Controllings rechnen – wenn der Flug überhaupt noch genehmigt wird.
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Welche Key Learnings im Bereich Marketing können andere Branchen aus der Games-Branche ziehen?
Was die Spiele-Industrie richtig gut kann, ist die Marken-Pflege, der Community-Aufbau und die Customer Journey – in welchem anderen Gewerbe gibt es das, dass die Fans einzelnen Produkten über Jahre hinweg mit solcher Hingabe entgegen fiebern? Das ist schon ziemlich einzigartig und natürlich nicht in jeder Branche adaptierbar – als Hersteller von Insektenschutzgittern wird man zwangsläufig weniger Begeisterung auslösen als Tesla, Apple oder eben Nintendo, Rockstar Games und PlayStation.
Dennoch kann man Kunden auch in Branchen zu Fans machen, die analog zur Games-Branche ein Firmenlogo mit Stolz zur Schau tragen und mit Hingabe Social-Media-Beiträge teilen. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass ein Berufskleidungs-Anbieter wie Engelbert Strauss plötzlich als angesagte Lifestyle-Marke durchgeht? Oder nehmen wir den Musikhändler Thomann, der sich in seinem Segment abseits von Amazon zur Nummer 1 in Europa entwickelt hat? In beiden Fällen ist es gelungen, mit stringenter Markenpflege, durchgängiger Qualität und 1A-Kundenservice treue Fans zu ‚erziehen‘, die wiederum als wandelnde Testimonials wirken.
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Wer sind Deine Vorbilder in der Branche? Gibt es da jemanden? Und wenn, warum?
Als Teenager habe ich Fachblätter wie die Powerplay förmlich verschlungen – Heinrich Lenhardt und Boris Schneider waren meine persönlichen Helden. Viele ihrer Previews und Reviews konnte ich regelrecht auswendig rezitieren. Auf Spielemessen bin ich um den Verlagsstand herumgeschlichen, weil ich mich schlicht nicht traute, die beiden anzusprechen und eine Signatur im mitgebrachten, völlig zerfledderten Heft zu erbeten.
Als ich später selbst über die Bande sprang und in Redaktionen arbeitete, waren wir zunächst erbitterte Mitbewerber, mit denen wir mit heftigen Bandagen um jeden Exklusiv-Screenshot und jeden Trailer kämpften. Es war ein „Wir gegen die“. Das hat sich spätestens zu dem Zeitpunkt entspannt, als Boris in die Industrie wechselte und Heinrich ‚unser‘ Auslands-Korrespondent wurde. Über Jahre hinweg arbeiteten wir auf dem selben Flur, oft an gemeinsamen Projekten und erlebten die selben epischen Meetings. Mag albern klingen, aber auf mich wirkt das bis heute surreal.
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Wie haben sich die Marketing-Maßnahmen und Kanäle in den letzten Jahren gewandelt? Wo geht es hin im Bereich Games-Marketing?
Es ist in jedem Fall anstrengender geworden, weil Myriaden von Vertriebs- und Social-Media-Plattformen, Märkten und Sprachen mitgedacht und synchronisiert werden müssen.
Bei deutschen Produktionen ist zu beobachten, dass Marketing-Aktivitäten von vornherein für den internationalen Markt konzipiert und produziert werden. Vielfach gibt es gar keine deutschsprachigen Foren, Websites, Twitter- oder YouTube-Kanäle mehr, sondern bestenfalls Trailer mit deutschen Untertiteln. Ich finde, der deutschsprachige Milliarden-Markt mit seinen 100 Millionen Verbrauchern hätte gerade von den heimischen Unternehmen etwas mehr Aufmerksamkeit, Liebe und Lokalkolorit verdient.
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Welche Social-Media-Kanäle sind für Euch als Unternehmung im Fokus?
Facebook war anfangs wichtig und wertvoll, hat aber aufgrund von irren Algorithmus-Stunts inzwischen massiv an Bedeutung verloren. Wir bespielen je nach Thema auch Instagram und LinkedIn, aber die mit Abstand effizienteste und vor allem schnellste Waffe ist aktuell Twitter. Außerdem war GamesWirtschaft SEO-technisch von Anfang an gut unterwegs und ist bei einigen Top-Themen seit Jahren auf vorderen Plätzen. Der Newsletter ist unser Backup, falls Mountain View unangekündigt an den Kriterien herumschrauben sollte. Gleichzeitig haben wir das große Glück vieler direkter Zugriffe.
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Stichwort Creator- und Influencer-Marketing: Der Trend zu mehr Micro- und Makro-Influencern mit geringerer Reichweite und weniger Fans, dafür aber mehr Authentizität und Engagement: Wie kann die Games-Branche davon profitieren aus Deiner Sicht?
Möglicherweise bin ich an dieser Stelle etwas übersensibel, weil ich von Berufs wegen viele Kampagnen sehe. Aber mir erscheint es so, als würde zuweilen der Weg des geringsten Widerstands gegangen: Dann werden einige Top-100-Influencer zusammengecastet, die ein mehr oder minder kreatives Video auf ihren Kanälen teilen – und nach zwei Tagen spricht niemand mehr davon. Typisches Magnesium-Marketing: brennt hell, aber kurz.
Zwar sind kleine und mittelgroße Streamer und YouTuber mittlerweile auch selbstbewusst genug, um den Wert ihrer Reichweite zu kennen und sich nicht mehr mit einem Gratis-Key zufrieden zu geben. Kontaktaufbau und -pflege bei Teilzeit-Streamern ist – soweit ich das beobachte – mühselig, weil zeitaufwändig. Dafür ist die Zusammenarbeit aber auch nachhaltiger.
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Die Medienlandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verändert. Immer noch ist aber PR eines der wichtigsten Kommunikations-Instrumente für den Bereich Games. Wo siehst Du die PR in den nächsten fünf Jahren, was werden die Herausforderungen?
Seit eineinhalb Jahren laufen Pressegespräche, 1on1-Interviews und Pressekonferenzen so gut wie ausschließlich in Zoom, Teams und Skype ab – das geht nicht wieder weg. Will sagen: Kein Mensch wird sich mehr in den Flieger oder in den Zug setzen, um einer einstündigen Präsentation oder Q&A-Session beizuwohnen. Das ist nicht nur eine Frage der Ökologie, sondern auch eine Frage der Ökonomie.
Leider wird immer noch wahnsinnig viel Energie mit Kommunikationsverhinderung verschwendet: schlecht gepflegte Bild-Datenbanken, langwierige Freigabe-Prozesse, gestanzte oder gar keine Auskünfte bei unangenehmen Themen. Gerade im Bereich der Krisen-PR verfällt die Games-Industrie immer noch regelmäßig in Schockstarre und verkriecht sich unter einem Stein. Da sind andere Branchen und selbst Ministerien einfach schneller, autarker, klarer, konkreter, hilfsbereiter, um nicht zu sagen: professioneller.
Und: Je größer der Konzern, desto geringer ist erfahrungsgemäß der Spielraum für lokale Aktivierungen. Da wird dann oft stumpf die internationale Einheits-Kampagne eingedeutscht.
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Bonusfrage: Auf welches Projekt / Thema in Deinem Job warst Du besonders stolz?
Mich erfüllt es mit großer Freude, mit GamesWirtschaft in Eigenregie und aus dem Nichts eine Marke mit stetig wachsender Reichweite aufgebaut zu haben, die sich im Twilight zwischen B2B und B2C bewegt. Wenn ich alleine sehe, wie prominent sich der Newsletter-Verteiler zusammensetzt, dann macht mich das sehr glücklich.
Dies umso mehr, da ich mir nach 25 Jahren Special-Interest-Vollzeit-Berufsjahren eigentlich vorgenommen hatte, nochmal neue Impulse abseits der Games-Industrie zu suchen. Aber im Rückblick muss ich sagen: Besser hätte es nicht laufen können. Und vielleicht muss man als Games-Schuster auch einfach bei seinen Leisten bleiben.
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