Ein Interview von
Heiko Klinge begann seine Branchen-Laufbahn im November 2000 als Trainee bei GameStar. 2005 gründete er gemeinsam mit André Horn und Gunnar Lott das Branchenmagazin „Making Games“, das er über zehn Jahre als Redaktionsleiter und Chefredakteur verantwortete. Zu „Making Games“ gehörten nicht nur Heft und Website, sondern auch die Recruiting-Events „Making Games Talents“ und „gamescom Jobs & Karriere“ sowie das Branchenregister „Key Players“.
2015 übernahm Heiko Klinge schließlich die Chefredaktion der Gaming-Magazine GamePro und GameStar. Seit 2020 fokussiert er sich ganz auf GameStar. Dessen rund 30-köpfiges Redaktionsteam bespielt nicht nur Deutschlands größte PC-Gaming-Website, sondern betreibt auch Europas größten redaktionellen Gaming-Channel auf YouTube mit mehr als 1,37 Millionen Abonnenten sowie einen der meistgehörten Gaming-Podcasts. Und die gedruckte GameStar, bei der Heiko vor über 20 Jahren mal angefangen hat, gibt’s ebenfalls nach wie vor.
1
Du bist ja nun schon einige Zeit in der Games-Branche, hast viele Trends kommen und gehen sehen. Zu den Anfangszeiten und heute: Was hat sich am positivsten verändert in der Branche und was stört Dich an der heutigen Situation?
Dass alles sofort mess- und analysierbar ist. Für mich als bekennenden Zahlenfreund hat das viele Vorteile. Andererseits ist dadurch sowohl im Gaming selbst als auch im Gaming-Journalismus der Mut zum Risiko ein wenig verloren gegangen. Und natürlich haben sich im Gaming-Journalismus auch Tempo und Druck massiv verändert. Zu Print-Zeiten gab es alle vier Wochen einen Redaktionsschluss, heute ist er täglich omnipräsent.
Über die Branche selbst maße ich mir kein Urteil an. Ich bin Journalist und arbeite nicht für einen Publisher oder Entwickler. Bezogen auf den Games-Journalismus würde ich mir aber wünschen, dass wieder mehr Wert auf direkte Recherche gelegt wird, statt einfach ungeprüft Informationen von anderen Websites, Social Media oder Reddit zu übernehmen.
2
Welche Key Learnings im Bereich Marketing können andere Branchen aus der Games-Branche ziehen?
Den direkten Draht zu den Kunden. Ich kenne keine andere Branche, die derart persönlich und unmittelbar mit ihren Zielgruppen kommuniziert. Auch in Sachen Datenanalyse hat die Games-Branche vielen anderen Industrien sicher viel voraus.
3
Wer sind Deine Vorbilder in der Branche? Gibt es da jemanden? Und wenn, warum?
Ich habe immer versucht, meinen eigenen Weg zu finden. Mir imponieren eher Haltungen, Werte und Handlungsweisen, an denen ich mich dann auch durchaus orientiere. Aber konkrete Vorbilder habe ich keine.
4
Wie haben sich die Marketing-Maßnahmen und -Kanäle in den letzten Jahren gewandelt? Wo geht es hin im Bereich Games-Marketing?
Aus meiner Sicht gibt es zwei auf den ersten Blick gegensätzliche Trends: 1. Automatisierung und 2. Spezialisierung. Bei Ersterem geht es darum, seine Zielgruppe so gut wie möglich zu verstehen, um Marketing-Maßnahmen entsprechend gezielt ausspielen zu können, ganz unabhängig von den verwendeten Plattformen.
Bei Letzterem denke ich vor allem an ganzheitliche plattformübergreifende Kampagnen mit durchgehendem Narrativ und entsprechend großem Aufwand. Dann wird schon mal der Fußballstar ins Livestreaming-Studio zum Multiplayer-Match verfrachtet oder der Münchner Flughafen als Schauplatz für einen Unboxing-Weltrekord gebucht. Die Ansprüche sind hier in den letzten Jahren enorm gestiegen, sowohl an Marketer als auch an Agenturen und Medienhäuser.
5
Welche Social-Media-Kanäle sind für Euch als Unternehmung im Fokus?
Jeder Social-Media-Kanal erfüllt für uns einen Sinn, weshalb GameStar auch überall präsent ist. Spannend finde ich, wie stark sich die Kanäle hier unterscheiden, was jeweils eine völlig andere Ansprache nötig macht. Grundsätzlich ist es aber so, dass für uns sowohl Instagram (134.000 Abonnenten) als auch TikTok (83.000 Follower) in den letzten zwölf Monaten deutlich mehr Dynamik entwickelt haben als Facebook und Twitter.
6
Stichwort Creator- und Influencer-Marketing: Der Trend zu mehr Mikro- und Makro-Influencern mit geringerer Reichweite und weniger Fans, dafür aber mehr Authentizität und Engagement: Wie kann die Games-Branche davon profitieren aus Deiner Sicht?
Für mich ist es bis heute einer der zentralen Erfolgsfaktoren von GameStar, dass wir uns immer bemüht haben, einen sehr direkten Draht zwischen unserer Community und der Redaktion zu schaffen. Vertrauen aufzubauen dauert Monate oder gar Jahre, zerstören kann man es in Sekunden. Es ist meine feste Überzeugung, dass sich Ehrlichkeit und Transparenz auf lange Sicht immer auszahlen.
Das gilt für mich auch bei der Wahl der Partnerschaften: Wer hat die passende Zielgruppe? Bei wem habe ich das Gefühl, dass sie oder er sowohl das Spiel als auch dessen Spielerinnen und Spieler wirklich versteht und ernst nimmt? Und – hier kommt wieder der Datenfreund in mir durch – wie kann ich das messen und verifizieren?
Für mich ist das letzten Endes keine Frage von Mikro- oder Makro-Influencern, auch letztere können sehr authentisch und engagiert sein. Aber eben vor allem dann, wenn auch Spiel und Zielgruppe passen. Wenn hier alles zusammenkommt, dann können Kunden zu Fans werden. Eine große Chance, aber auch eine große Verantwortung.
7
Die Medienlandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren massiv verändert. Immer noch ist aber PR eines der wichtigsten Kommunikations-Instrumente für den Bereich Games. Wo siehst Du die PR in den nächsten fünf Jahren, was werden die Herausforderungen?
Puh, fünf Jahre sind sowohl in der PR als auch im Gaming-Journalismus eine furchtbar lange Zeit, zumal es unsere Branche ja gerade so spannend macht, dass regelmäßig etwas völlig Unvorhersehbares passiert. Bei zwei Herausforderungen fühle ich mich aber sicher genug, um mich prognosetechnisch aus dem Fenster zu lehnen:
Die »Netflixisierung« des Gaming-Markts: Ich gehe fest davon aus, dass sich Abo-Services über kurz oder lang auch im Gaming-Segment durchsetzen werden. Das verlängert einerseits den Lebenszyklus von Spielen, stellt andererseits aber auch völlig neue Herausforderungen an die PR. Wann, wie und wo platziere ich meine Botschaften? Wie setze ich mich im Überangebot an Informationen und »frei« verfügbaren Spielen durch? Bereits heute stellen wir fest, wie sich der Informationsbedarf auf unseren Plattformen sukzessive verändert. Weg von „Ist dieses Spiel sein Geld wert?“, hin zu „Wie und womit verbringe ich heute am besten meine Freizeit?“ Darauf die passenden Antworten zu liefern, erfordern sowohl ein Umdenken im Journalismus als auch in der PR.
Die Story wird wichtiger als das Spiel: Die Zahl der klassischen Pressemeldungen ist in den vergangenen Jahren rapide zurückgegangen, und dieser Prozess wird sich meiner Einschätzung nach noch beschleunigen, je mehr Gaming auch in General-Interest-Medien Fuß fasst. Niemand will mehr lesen, dass Update X für MMO Y den Raid Z erweitert. Sondern es wird immer mehr um Storys gehen, die einen selbst dann interessieren, wenn man vom jeweiligen Spiel noch nie etwas gehört hat. Das erfordert sowohl von der PR als auch vom Journalismus ein stetig zunehmendes Antizipationsvermögen. Wonach wird jemand suchen, für die oder den mein Spiel interessant sein könnte? Und wie aktiviere ich dann ihr oder sein Interesse? »Mein Spiel ist toll!« wird als Antwort jedenfalls nicht reichen.
+1
Auf welches Projekt / Thema in Deinem Job warst Du besonders stolz?
Stolz ist vielleicht das falsche Wort, aber ich empfinde jedes Mal tiefe Freude und Dankbarkeit, wenn mich eigentlich fremde Menschen ansprechen und Erinnerungen oder Geschichten zu GameStar und Making Games mit mir teilen. Sei es ein bestimmter Artikel, ein Redaktionsvideo oder gar eine Recruiting-Veranstaltung, bei der sie den Einstieg in die Branche gefunden haben. Das macht mir immer wieder bewusst, welch großes Privileg ich habe, eine Arbeit machen zu dürfen, die von so vielen Menschen wahrgenommen und geschätzt wird.
(c) Christian Augustin
Highlights und Insights
von Tech- und Gaming-Leadern aus aller Welt